CONRAD NECKELS
Bilder vom Ratzeburger Domhof.
(Mit zwei Abbildungen.)



Bilder vom Ratzeburger Domhof.

Wandert man auf der Insel, die Ratzeburg trägt, und die, wie Campe, der Dichter des deutschen Robinson, sagt, wie eine Schüssel roter Krebse mit Petersilie umkränzt, ausschaut, durch die gemütlichen, von niedrigen Giebeln eingefaßten Kleinstadtstraßen nach Norden, so ist man plötzlich in die baumrauschendste Natur versetzt. Zugleich ist man in Mecklenburg, denn der Domhof gehört zu Strelitz.

Es ist ein trüber Sommertag, wie er in diesem Kriegsjahr häufig ist. Nur dem starken Winde ist es zu danken, daß es nicht regnet. Er treibt die Wolkenfetzen rastlos vorüber, manchmal glänzt ein milchiges Leuchten unverhofft zwischen ihnen auf, und ganz selten einmal bricht wie ein Wunder die Sonne durch und liegt wie eine warme, liebe, goldgeschmückte




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Hand kurze Zeit tröstend auf dem Lande. Der starke Wind faßt in die hohen vollen Lindenkronen, und die uralten Stämme biegen sich gar ein wenig: die gewaltige Hirtenflöte, auf welcher der große Pan spielt. Eine Menge Alleen kreuzen und schneiden sich auf dem grünen Vorplatz zum Dom, fast zu viele für den nicht großen Fleck. Man wird an einen andern Ort Niederdeutschlands, an Pyrmont mit seinen zahllosen Lindenalleen erinnert. Im Hintergrund der Bäume liegt vornehm das ehemalige Jagdschloß der Lauenburger Herzöge, die jetzige Probstei. Ein schöner Ziegelbau mit großen hohen Fenstern, breiter Treppe und Auffahrt.

Der Boden steigt an zum Domkirchhof. Vor ihm steht die Nachbildung des Braunschweiger Welfenlöwen, des starken archaischen Kunstwerkes. Das Tierbild gemahnt an den Löwenherzog Heinrich, der das ganze Land ringsum dem Deutschtum gewann und auch Lübecks Jugendzeit ein Schirmherr war. Heinrich der Löwe gründete den Ratzeburger Dom, der nach dem Vorbild des Braunschweiger Doms erbaut wurde und auch mit dem Dom zu Lübeck wie mit vielen Domen in Niederdeutschland und im Baltenlande verwandt ist.

Hoch wächst das Gras zwischen den Gräbern. Der Wind biegt es und läßt es matter und glänzender aufschimmern wie Meereswellen. Das Grab eines Jägeroffiziers gleich am Friedhofstore ... Ein Heldengrab in uraltem Kampfland. ...

Der Friedhof ist wie ein hoher Sockel, von dem herab man auf die natürliche Schutzwehr des umrahmenden Sees und die Wälder und Felder am jenseitigen Ufer blicken kann. Geht man unten um den Sockel herum, kommt man durch ein langes, niedrig und schwer gewölbtes Tor, das Steintor, dessen Straße fortgesetzt wird durch niedrige Häuschen, wie sie sich als Zollwachen an fast jedes Tor einst schmiegten. Das Torgewölbe, das wir im Bilde wiedergeben, läßt den Schritt hallend widerklingen, und die Wucht der Wölbung weckt die Vorstellung vergangener Zeiten.

Steile Erdstufen führen geradenwegs zum Dom hoch, dessen Romanik durch eine Renovation der neunziger Jahre, die so Vieles auf dem Gewissen haben, allzu neugebügelt erscheint. Doch blieb mancherlei verschont, weil man es damals glücklicherweise für nicht wichtig und würdig der Erneuerung hielt. Vieles ist noch im eigentlichen Klosterhof, wie es einst war, als sich friedlich in einer Klostersiedlung Vielerlei, Sakrales und Profanes einte. Manches Wirtschaftsgebäude, das romanisch ist wie der stolze Schwesterbau, der Dom, ist seiner Bestimmung treu geblieben und hält jeden störenden Gedanken an Museum und Renovation hintan. Unter die wuchtige Balkendecke über dem Kreuzgangtor, das ganz ursprünglich ist, haben Schwalben ihr Lehmnest geklebt. Aus ihm recken sich die hungrigen Schnäbelchen der jungen Brut heraus. Den prächtigen Kreuzgang bringen wir im Bilde. Die Gewölberispen sind die alten, die primitiven Fresken sind anscheinend sehr geschickt erneuert. Ich weiß allerdings nicht, wie sie ehemals aussahen. Der Kreuzgang umgibt einen eingeschlossenen Baumgarten, in dem es grünt und treibt, wie es nur immer mag. Zur andern Seite des gewölbten Ganges führen Türen in Mönchszellen, die wiederhergestellt wurden, in Wohnungen, die noch behaust sind, in Räume, die noch heute der geistlichen Wissenschaft als Heim dienen. Schweinslederband steht an Schweinslederband, an den Wangen der Büchergestelle hängen geschriebene Verzeichnisse, deren Tinte altersbraun gebleicht, deren Pergament angegilbt ist. Auf dem großen Tische liegen aufgeschlagen alte Scharteken, deren kostbare Miniaturen, von Mönchen mühevoll einst gemalt, ungebrochen und unangekränkelt mineralfarben glühen. An den Gewölbewänden hängen freundlich benachbart den Fresken Daguerrotypien, die auch schon so alt anmuten. "Kein Ton der aufgeregten Zeit drang noch in diese Einsamkeit." So scheint es.

Draußen um den Klosterhof, in den sich Altes auf Uraltes gründet und schichtet, geht ein starker Wind, der die Stämme biegt. ...

Conrad Neckels.



Hier die Vorlage der Transkription, in Frakturschrift, auch zum Download:






In: Vaterstädtische Blätter Nr. 41, Lübeck, den 9. Juli 1916. - Illustrierte Unterhaltungsbeilage der Lübeckischen Anzeigen. -

Das Publikationsorgan der "Vaterstädtischen Vereinigung Lübeck", die "Vaterstädtischen Blätter", erschien erstmals 1896 als Sonntagsbeilage der "Lübeckischen Anzeigen" mit dem Untertitel "Altes und Neues aus Lübeck". 1933 wurde diese Sonntagsbeilage eingestellt. Conrad Neckels (1889-1963) hatte zeitweilig die Schriftleitung inne. Aus seiner Feder stammen mehrere Beiträge zum Themenfeld: Kunst/Kultur. - Er engagierte sich auch auch nach dem Zweiten Weltkrieg, indem er 1949 Mitbegründer der "Vaterstädtischen Vereinigung von 1949 e. V." wurde (zusammen mit Paul Brockhaus, Johann Klöcking und Martin L. Strack).  Er war Schriftsteller, Übersetzer (z. B. Charles Dickens: David Copperfield, Lübeck 1959) und Journalist (Artikel in den "Lübecker Nachrichten" etc.).